China

Barbara Lange

Sight-Seeing in Ningbo

23.03.2024

Ningbo ist nun nicht gerade die erste Adresse für eine touristische China-Reise, aber so ganz ohne Reize ist es auch nicht. Das Aushängeschild der Stadt ist die Tianyi-Bibliothek, die – und jetzt kommt’s – eine Freiluft-Bibliothek ist. Also nicht ganz Freiluft. Die 300.000 Schriften, davon 80.000 Raritäten aus der Ming-Dynastie befinden sich in Pavillons. Ein Teil der Schriften sind auch Steintafeln, die im Garten der Anlage aufgestellt sind. Die Anlage habe ich bereits im November 2023 mit Gabi besucht, daher habe ich sie dieses Mal nicht besichtigt, sondern bin direkt zum Tianyi-Square. Der runde Platz wird von den Flagshiff-Läden aller großen Marken eingefasst. Nach ein paar Fotos wusste ich beim besten Willen nicht, was ich dort soll und bin weiter gegangen zum Drum Tower. Dort steppt der Bär. Mein lieber Schwan. Der Turm ist der einzige erhaltene Glockenturm aus der Tang-Dynastie. Dahinter schließt sich ein Einkaufviertel an, das im alten Stil errichtet wurde und eine eigentümliche Mischung beherbergt aus geschwungenen Dächern, romantischen Balkonen, geschnitzen Drachenköpfen in den Dachbalken einerseits und Fressbuden, Souvenirläden und Klamottengeschäften andererseits. Die Luft ist erfüllt vom Geruch von fritiertem Fett, Gewürzen die ich nicht identifizieren kann, aber auch nicht will, und Kindergeschrei. Ein Irrsinn. Das Angebot richtet sich ausschließlich an chinesische Touristen und wirkt auf mich eher abschreckend und doch wieder faszinierend. Das Ganze gleicht einem Verkehrsunfall. Man mag nicht hingucken, aber wegschauen kann man auch nicht.

Das Wetter ist übrigens auch sehr merkwürdig. Es hatte heute an die 30°, aber die meisten Leute liefen mit Jacken und Pullovern rum. Es ist halt doch noch März und das Wetter schlägt hier innerhalb von Stunden um. Die Gebäude haben keine Heizung, dafür Klimaanlagen, aber die werden anscheinend nicht so sehr zum Heizen verwendet. Ich habe den Eindruck, dass die Häuser noch vom Winter ausgekühlt sind. Selbst auf dem Campus laufen alle in den Unterrichtsräumen mit Winterjacken rum, weil es drinnen so kühl ist. Ich habe gar keinen Mantel mitgebraucht, aber auf dem Schulgelände trage ich einen Wollmantel, den ich mir geliehen habe. Dazu ist es ständig dunstig. Die Luft ist feucht und wirkte in den ersten Tagen fast wie Smog. Ist es aber nicht. Seit gestern hat es etwas aufgeklart und damit konnte ich zum ersten Mal von meinem Hotelzimmer aus den Ningbo Central Plaza Turm sehen. Auf den Turm komme ich gleich nochmal zu sprechen.

Im Internet hatte ich gelesen, dass Ningo den ältesten Bund hat. Der „Bund“ ist das Areal, wo sich früher ausländische Banken und Reedereien niedergelassen haben, um den Seehandel abzuwickeln. Ihre Handelsschiffe waren zu groß für die traditionellen Häfen, also haben sie sich außerhalb der Städte an breiteren Flusstellen niedergelassen und dort auch ihre Wohnhäuser und Kirchen gebaut. Der Bund in Ningbo ist noch älter als der von Shanghai und sollte diesen an Schönheit sogar noch übertreffen. Ich also voll Erwarten dahin gelaufen. Naja. So ganz leuchtete mir der Vergleich nicht ein. Es gab ein paar alte europäische Häuser, ja, aber nichts, was auch nur anähernd an Shanghai heranreihen kann. Also beschloss ich, zu besagtem Central Plaza Hochhaus zu laufen.

Orientierung hier ist so eine Sache. Ich habe zwar Baidu Maps auf meinem chinesischen Handy installiert, aber das spricht nur chinesisch. Ich jetzt eher nicht. Damit ist es schwierig bis unmöglich, etwas zu suchen. Google Maps funktionert gar nicht. Und dieses Hochhaus ist noch dazu im Bau. Wenn er denn fertig ist, wird er mit seinen 80 Stockwerken der höchste Turm in Ningbo sein. Ich weiß den chinesischen Namen nicht und mit der englischen Bezeichnung finde ich ihn auf keiner Karte. Ich weiß also bis jetzt nicht, wo der eigentlich genau ist, obwohl ich vorgestern Abend im Rahmen von einem Schulausflug dort in der Nähe war. Dort gab es nette Restaurants, die ich nochmal anschauen wollte. Ich kann den Turm vom Bund aus sehen, also laufe ich los. Der Verkehr ist fürchterlich. Fußgänger und Mofas teilen sich in der Theorie einen Streifen, das ist den Mofafahrern aber nicht so bewusst. Oder egal. Und dann enden diese Streifen gerne mal in einer Baustelle. Das ist den Mofafahrern auch wurscht, die reihen sich einfach in den Autoverkehr ein. Als Fußgänger ist das eher ungünstig. So erging es mir mehrere Male. Und dann war der Turm plötzlich weg. Dafür stand ein freies Taxi am Straßenrand. Nachdem ich den Namen von dem Hochhaus nicht weiß, habe ich dem Fahrer ein Bild von dem Turm gezeigt. Und war leicht fassungslos, als er mich zum Bund zurückgefahren hat.

Erst dachte ich, vielleicht bin ich einfach nur doof und ich habe mich mit dem Turm vertan. Andererseits habe ich mir auch gedacht „Wer weiß, wofür das hier gut ist“ und bin ausgestiegen, als der Taxifahrer meinte, meinen Turm gefunden zu haben. Vermutlich konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, was ich bei einer Baustelle wollte und hat das nächstbeste Hochhaus angesteuert, das meinem am ähnlichsten war. Im Nachhinein ist klar, dass er nicht verstand, wohin ich wollte, er wusste aber ganz genau, wohin ich sollte. Denn jetzt brach die Dämmerung und jetzt zeigte sich, was der Bund in Ningbo kann. Irre. Die Beleuchtung der einzelnen Hochhäuser wird zentral gesteuert, da laufen Muster und ganze Geschichten über alle Hochhäuser gemeinsam hinweg. Aus Lautsprechern kommen chinesische Volkslieder, die man echt gut anhören kann. Und trotzdem sind nur wenig Leute unterwegs. Irgendwann kommt noch eine Laserschau, die ich persönlich nicht gebraucht hätte, dafür stolpere ich über zwei Flötistinnen, die offensichtlich die Flötenstimmen zur Musik in den Lautsprechern live beisteuern. Ich bin echt platt. Shanghai kann einpacken.