China

Barbara Lange

Paper-Cut und Umwege in Wuhan

20.05.2024

DuLiang, eine Professorin aus Wuhan, die an meinem Kurs in Shaoxing teilgenommen hat, ist nach Hefei gekommen, um mich abzuholen. Ich werde sie nach Wuhan begleiten und dort einen Vortrag zum Thema Bauhaus halten. Das ist normalerweisen nicht mein Thema, aber bei meinem letzten Besuch in China hatte ich einen Kurs gehalten, in dem wir Blöcke genäht haben, die in Deutschland unter dem Namen „Dreiklang“ laufen. Begleitend dazu hatte ich etwas über das Bauhaus erzählt. DuLiang hatte damals auch schon am Kurs teilgenommen und war so angetan, dass sie jetzt möchte, dass ich an ihrer Universität einen Vortrag darüber halte. Sie lässt sich von der Idee nicht abbringen. Also gut. Für einen Überblick reicht mein Wissen schon aus.

Samstag, gegen Mittag kommen DuLiang und ich in Wuhan an. Das mit dem Zugfahren hatte ich mir einfacher vorgestellt. Wir müssen zunächst die Fahrkarten für mich, die online gekauft wurden, in Papierform am Schalter abholen. Bei Chinesen reicht die digitale Fahrkarte. Es ist auch für DuLiang nicht ganz banal, diesen Schalter überhaupt zu finden.  Er befindet sich außerhalb des Bahnhofsgebäudes. Jetzt können wir durch die Personenkontrolle, dann durch die Sicherheitsschleuse wie beim Flughafen. Dann kann man in der Bahnhofshalle vor dem Aufgang zum Gleis warten. Kurz vor der Ankunft des Zuges wird das Tor geöffnet, und dann darf man auf den Bahnsteig. Selbstverständlich muss man vorher nochmal die Fahrkarte und den Ausweis vorlegen. Am Gleis findet man mehrere farbige Rechtecke mit Zahlen darauf. Dies ist die Wagenstandsanzeige für die unterschiedlichen Züge. Die Farbe für den jeweiligen Zug findet man auf der Anzeigentafel. Allerdings ist die Farbangabe dort nicht farbig markiert, sondern in chinesischen Schriftzeichen ausgeschrieben. Es dauert etwas, bis es DuLiang dämmert, dass ich mit ihrer Erklärung, die Farben wären doch auf der Tafel angegeben, nichts anfangen kann. Zeit, die Farben auf chinesisch zu lernen.

Und für alle, die sich fragen, ob das ein Hochgeschindigkeitszug ist: Ja, wir fahren hier mit über 300 Sachen duch die Gegend.

Von Wuhan selbst sehe ich auf dieser Reise wenig. Die Industriestadt ist mit der Stahlproduktion großgeworden. In den Tagen, da ich in der Gegend bin, liegt Smog über der Stadt. Wuhan ist in erste Linie bekannt als Ursprungsort von Covid 19. Mich hat erstaunt, dass die Einwohner von Wuhan im Rest des Landes nicht „stigmatisiert“ werden und mit Ressentiments konfrontiert sind. Im Gegenteil. Sie werden als Helden gefeiert, die mit chinesischem Durchhaltevermögen und Zusammenhalt die härtesten Lockdowns der Pandemie gemeistert haben.

Endlich im Hotel angekommen. Vor meinem Zimmer steht die Concierge, um mich zu begrüßen.  Wenn ich was bräuchte, könnte ich mich jederzeit an sie wenden. Sehr nett, vielen Dank.
Als erstes stelle ich fest, dass das Internet nicht tut. Der Router ist mausetot. Er reagiert nicht auf meinen Zuspruch, daher mache ich mich auf die Suche nach der Concierge. Nicht zu finden.  Also rufe ich die Rezeption an. Die Dame ist entsetzt, dass jemand englisch mit ihr sprich und legt auf. Kurz darauf klopf eine Reinigungsdame an meiner Tür. Ich zeige ihr das Problem und sie drück so vehement auf den Kopf das Routers, wie ich mich das niemals getraut hätte. Der Knopf kapituliert irgendwann, der Router springt an, alles gut.

Ich liege jetzt also auf dem Bett, habe die Schuhe ausgezogen und daddel auf meinem Handy rum. Nach ca. 5 Minuten klopft es wieder an meiner Tür. Dieses Mal sind zwei Damen da, die ihrer Kleidung nach zu schätzen eher leitende Positionen im Hotel innehaben. Ich zeige, dass ich Probleme mit dem Internet hatte, jetzt aber alles wieder in Ordnung ist. Daraufhin beschließt Dame 1, dass es Zeit ist, mein Fernseher zu putzen (ich habe hier noch kein einziges Mal einen Fernseher eingeschaltet, aber kann sie ja nicht wissen). Dame 2 bringt mir derweil Hausschuhe, weil ich in Socken dastehe. Dame 1 ist mit dem Fernseher fertig und fängt jetzt an, den Wasserkocher zu füllen. Dame 2 bringt mir zur Sicherheit ein zweites Paar Hausschuhe. Ich erkläre händeringend, dass alles in Ordnung ist und sie sich nicht weiter um mich zu kümmern brauchen. Dame 1 stellt zufrieden fest, dass der Wasserkocher jetzt randvoll ist und schaltet ihn an. Dame 2 entfernt derweil unsichtbare Flecken auf meinen zweiten Satz Hausschuhen. Ich versichere noch einmal, dass ich wirklich rundum zufrieden bin und sie sich echt nicht mehr um mich kümmern müssen. Endlich gehen sie. Das Wasser kocht und der Wasserkocher schaltet sich ab.

Am Nachmittag holt mich DuLiang ab und wir fahren zu einem kleinen Museum für Paper-Cut. Die chinesische Tradition des Paper-Cut wurde 2008 zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt. Bei dieser Technik werden 20 Blätter Papier übereinandergestapelt, provisorisch mit ein paar Stichen oder Stäbchen miteinander verbunden und dann wird ein Muster hineingeschnitten, ähnlich wie bei uns der Scherenschnitt. Allerdings benutzen die Chinesen eine Art Skalpell, dass sie immer wieder über eine Wachsplatte ziehen, damit das Skalpell sich leichter durch die Papierlagen ziehen lässt. Die Muster sind über und über beladen mit hauchfeinen Details. Die geschnittenen Blätter werden als Papierschablonen für Handstickereien verwendet. Man hat früher diese Vorlagen z.B. auf Jacken oder Schuhe gelegt, die bestickt werden sollten und hat dann anschließend über die Schablonen drüber gestickt. Die Papiervorlage blieb in der Stickerei drin. Daher sind die traditionellen Musterbögen auch weiß. Mittlerweile hat sich die Technik des Paper-Cut zu einer eigenständigen Kunstform entwickelt und daher wird oft rotes Papier verwendet.

Ich möchte gerne einen Bogen mit einer Ziege kaufen, weil ich laut chinesischem Horoskop im Jahr der Ziege geboren bin. Allerdings möchte ich kein fertig gerahmtes Stück haben, weil ich Angst habe, dass das Glas auf dem Rückflug im Koffer kaputt gehen könnte. Sie fahren also mit mir quer durch die Stadt zu einem Wohnhaus, in dem sie ein Büro und eine kleine Werkstatt unterhalten. Hier werden diese Papierschnitte hergestellt. Dass ich den Bogen kaufe, kommt nicht in Frage, sie schenken mir eine Ziege und eine Kuh.

Nach dem Museum bekomme ich Gelegenheit, DuLiangs Werkstatt anzuschauen. Als Professorin an der Universität steht ihr ein persönliches Atelier zur Verfügung. Hier kann sie in Ruhe arbeiten und experimentieren, die Schüler haben hier keinen Zutritt. Ihr Interesse gilt dem Färben mit Naturmaterialien, insbesondere die verschiedenen Blautöne, die man mit den verschiedenen Indigo-Arten erzielen kann, haben es ihr angetan. Sie baut die Pflanzen selbst an und hat eine Serie von Experimenten geplant. Ihr Ziel ist es, die unterschriftlichen Indigopflanzen und Waid bezüglich ihrer Blautöne zu vergleichen.

Außerdem arbeitet sie an eigenen Quilts und textilen Kunstwerken, die sie in Ausstellungen einreicht. Ein Teil ihrer Arbeit besteht offensichtlich darin, den Ruf der Universität zu erhöhen, indem sie Preise bei Wettbewerben gewinnt. In den vergangenen Jahren hat sie sich sehr intensiv mit Eco-print auseinandergesetzt. Die Regale sind voll mit Stoffen, die sie mit Blättern von Bäumen und Blüten aus der Region bedruckt hat. Das Semester geht über 5 Monate. Sie hat ihre Vorlesungen in den ersten drei Monaten bereits abgeschlossen, die letzten zwei Monate des Semesters kann sie nutzen, um zu forschen, zu reisen und an ihren eigenen Stücken zu arbeiten. Falls jemand in Deutschland so einen Job anzubieten hätte, ich hätte Interesse! Wobei ich mich wahrlich nicht beschweren kann.

Abends nach dem Essen möchte ich DuLiang die Fahrkarten für den Zug zurückgeben, da sie die für ihre Abrechnung braucht. Dabei entdecke ich, dass mein Pass weg ist. Mein Herz sackt mir in die Hose. Ohne Pass und damit auch ohne Visum ist man in China regelrecht aufgeschmissen. Andererseits: Weit kann er nicht gekommen sein. Ich flitze also zunächst auf mein Zimmer, krame durch meine Tasche und mein Rucksack, es bleibt dabei, der Pass ist weg. Das letzte Mal hatte ich ihn in der Hand, als ich an der Rezeption eingecheckt habe. Ich hoffe inständig, dass er immer noch dort liegt und nicht, dass er mir irgendwo zwischendurch aus der Tasche gefallen ist. Also runter zu Rezeption. Der Pass liegt immer noch im Fotokopierer. Was für eine Erleichterung! Also wieder rauf aufs Zimmer, dort will ich mich hinsetzen und ein paar Notizen für den Vortrag am kommenden Tag machen. Sie haben hier kein Schreibpapier auf dem Zimmer und ich habe dummerweise keins mitgebracht. Also wieder runter zu Rezeption. Dort werde ich ausgestattet. Mittlerweile hatte ich mehr Kontakt mit dieser Rezeption, als mit jedem anderen Hotel. Ich finde es äußerst unpraktisch, dass die Rezeption im Erdgeschoss untergebracht ist. Ich bin dafür, dass die in das oberste Stockwerk neben meinem Zimmer einziehen. Schließlich muss ja offensichtlich irgendjemand auf mich aufpassen.