China

Barbara Lange

Mein Fahrrad

22.04.2024

Für chinesische Verhältnisse liegen mein Hotel und der Campus sehr nah beieinander. Aber dennoch ist es ein Kilometer zur Schule und zwei Kilometer zur nächsten U-Bahn-Station, was den Wunsch nach einem Fahrrad sehr schnell aufkommen ließ. Mittags gehe ich immer mit drei Professorinnen in die Kantine und dort trage ich meinen Wunsch vor. Es stellte sich heraus, dass eine meiner Begleiterinnen – Maggie – ein Fahrrad auf dem Campus stehen hat, das sie nie benutzt. Am nächsten Tag brachte sie mir das Fahrrad, übergab mir den Schlüssel und schon war ich mobil. Naja, relativ mobil. Das Fahrrad hat eine eingerostete Gangschaltung, zwei Platte Reifen und der Sattel ist so niedrig, dass meine Ohren gefühlt zwischen den Knien sitzen. Aufgepumpt war das Fahrrad sofort. Und einem geschenkten Gaul schaut man nicht….  also bin ich damit abends zurück ins Hotel gefahren. Also quasi in der Hocke. Jeder, der auf einem Kinderfahrrad schon mal länger als 100 Meter gefahren ist, weiß wie es mir dabei ergangen ist. Alle anderen sollten es mal ausprobiert.  Ist interessant.

Am nächsten Tag habe ich also doch gefragt, ob man den Sattel vielleicht höher stellen könnte. Maggie ist ganz wundervoll und hat sofort organisiert, dass der Hausmeister sich das Fahrrad vorknüpft. Das hat er auch gemacht.  Jetzt steht der Sattel jetzt zwar auf höchster Stufe, dafür klemmen aber die Räder so, dass das Fahrrad nicht mehr fährt. Ich probiere es trotzdem.  Nichts zu wollen. Ich bekomme das Rad nicht vom Fleck. In diesem Moment kommen zwei Studenten vorbei, die gerade in die Mittagspause gehen. Beide haben ungefähr die Statur eines ausgewachsenen nordamerikanischen Grizzlybärs. Also jeder. Zwei Bären. Magie spricht sie an, ob sie wüssten, wo man auf dem Campus ein Fahrrad reparieren lassen könnte. Es ist offensichtlich, dass die beiden Grizzlies nichts von Fahrrädern verstehen und auch wenig Lust haben, sich damit auseinanderzusetzen. 

Der mutigere der beiden Bären setzte sich auf das Fahrrad, fährt damit eine Proberunde und verkündet stolz: „Das Fahrrad fährt!“ Ja, klar. Bei der Statur würde der selbst Betonquader zum Rollen bringen. Ich nicht. Ich bitte ihn, das Fahrrad auf eine nahegelegene Rampe zu stellen und es loszulassen. Das Fahrrad blieb stehen. Also, ist fällt noch nicht einmal um. Der Bär macht ein Gesicht wie Balu aus dem Dschungelbuch, wenn man ihm das Butterbrot wegnimmt und erklärt seinem Freund: „Anscheinend will die Deutsche, dass das Fahrrad alleine rollt.“ Ja, genau das will die Deutsche.  Maggie bittet ihn, das Fahrrad in eine Werkstatt zu bringen. Balus Gesichtsausdruck spricht Bände. Es ist klar, dass er sich seine Mittagspause anders vorgestellt hatte. Aber er ist gutmütig. Mit hängenden Ohren ziehen er und sein Freund mit dem Fahrrad ab. Ich kann die beiden gut verstehen. 

Am nächsten Morgen stand das Fahrrad fix und fertig repariert vor dem Vorbereitungsraum, indem ich mich außerhalb der Unterrichtszeiten aufhalte und kurzer Zeit später erschien Balu in meinem Klassenzimmer. Balu ist offenbar einer meiner Schüler. Außerdem heißt er gar nicht Balu. Das lässt hoffen.

 

Ich muss jetzt unbedingt herausfinden, wo ich ein paar Flaschen Bier auftreiben kann. Aber das kann ich jetzt mit dem Fahrrad erledigen.