China

Barbara Lange

Aus dem Klassenzimmer in Shaoxing

05.05.2024

Diese Woche steht mein Designkurs in Shaoxing an. Wie so oft bekommt der Kurs das Etikett „Design“ verpasst, obwohl es sich eher um einen Technikkurs handelt. Die meisten Teilnehmer:innen (es sind zwei Männer im Kurs) haben Modedesign oder Textildesign studiert, kennen sich also im Bereich Design bestens aus, haben allerdings wenig Hintergrundwissen, wie man Patchwork näht. In diesem speziellen Kurs ist ein Herr und ein junges Mädchen dabei, die beide an Universitäten in der Marketingabteilung arbeiten, sich den Kurs ganz nett vorgestellt haben, aber noch nie an der Nähmaschine gesessen haben. Einen Kurs zusammenzustellen, der Geübte wie totale Anfänger gleichermaßen zufrieden stellt, ist nicht so ganz einfach, aber mittlerweile glaube ich, dass ich das draufhabe. Sie lernen Techniken anhand verschiedener Blöcke und dann ist die Designfrage, wie man diese Blöcke in einer ansprechenden Weise zu einem Quilt zusammensetzt. Dann wieder habe ich Leute im Kurs, die eindeutig hervorragend nähen können, aber total unsicher sind, was die Gestaltung betrifft. Für die wäre ein reiner Designkurs sicher interessant. Aber ob die in einem Kurs glücklich werden den ich halte, ist fraglich. Hier ist eindeutig eine Tendenz zu spüren, dass jedes Kunstwerk einen Bezug zu China und am allerliebsten zum traditionellen China aufweisen soll. Das kann ich nicht leisten. Will ich auch gar nicht. Also machen wir Technik.

In Shaoxing ist überhaupt die gesamte Kursatmosphäre etwas anders. Der Kursraum ist zwar groß, er hat auch auf einer Seite viele Fenster, hell ist es aber trotzdem nicht wirklich in dem Raum. Das kann auch daran liegen, dass es an drei von den fünf Tagen, an denen wir zusammen nähen, draußen schüttet. Der Regen ist auf jeden Fall dafür verantwortlich, dass alle Stoffe mal wieder klamm sind. Wenigstens ist es nicht kalt. Der Regen macht uns im Kursraum auch weniger aus, als den begleitenden Familienmitgliedern. Einige Kursteilnehmer:innen haben ihre gesamte Familie dabei – es ist eine fünftägiger Feiertag zum „Tag der Arbeit“ und der wird als Miniurlaub genutzt. Auch wenn ein Elternteil alle Tage im Kursraum verbringt. Die Ehepartner bespaßen tagsüber die Kinder und abends trifft man sich gemeinsam im Hotel. Bei Regen ist die Sache mit dem Bespaßen der Kinder allerdings überschaubar. Ab dem zweiten Tag flitzen also mehrere Kinder im Innenhof und auch im Kursraum herum, um zuzuschauen, Verstecken zu spielen oder sonst irgendwie die Zeit totzuschlagen. Die Spezialisten im Bild beobachten gerade andächtig eine Schnecke, die versucht dem Gefängnis zu entkommen, in das die Kinder sie gesteckt haben. Doof nur, dass sie es auch mit Wasser geflutet haben. Zwischendrin bauen sie sich aus Papier Pistolen und spielen Räuber und Gendarm auf Chinesisch. Dazwischen sitzt immer irgendein Kind, das mehr oder weniger intensiv Hausaufgaben macht. Meistens weniger. Hier ist richtig was los.

Eine Besonderheit im Kurs ist, dass ich endlich Gelegenheit habe, die Nähnadeln, die mir die Firma Schmetz mitgegeben hat und die Rollschneider, die ich von Clover bekommen habe, verteilen kann. Ich habe von meinen Schätzen zwar immer mall etwas verschenkt, aber diese Gruppe war mir am wichtigsten. Meine Kursteilnehmer:innen kommen aus ganz China. Die meisten unterrichten an Universitäten, wo ich nicht weiß, wie die technische Ausstattung aussieht. Mein bisheriger Eindruck ist, dass sie zwar viele Nähmaschinen und Stoffe haben, aber alles andere zu kurz kommt. Eine Teilnehmerin erzählt mir, dass sie ihre Nadeln immer mindestens ein Jahr benutzt. Mir stellt es die Haare auf.

Eine weitere Besonderheit ist dieses Mal, dass eine Bernina Vertreterin aus Shanghai angereist ist. Chris nimmt am Kurs teil, unterstützt aber auch mit den Maschinen. Ihr zweiter Nebenjob ist es, für mich zu übersetzen. Das ist mir auch lieber, als wenn mir eine Studentin zur Seite gestellt wird, die im dritten Semester Englisch auf Lehramt studiert und zwar Englisch spricht, aber vom Nähen keine Ahnung hat. Wenn ich so einer Studentin den nächsten Arbeitsschritt erkläre, versteht sie es oftmals nicht. Das endet dann oft darin, dass die chinesischen Teilnehmerinnen und ich auf die Studentin einreden, um ihr das Nähen beibringen. Und wenn sie es dann verstanden hat, kann sie es immer noch nicht auf Chinesisch wiedergeben, weil ihr die chinesischen Vokabeln fehlen. Da ist es dann tatsächlich einfacher, mit jemanden zusammen zu arbeiten, der nähen kann und etwas weniger gut englisch spricht. Außerdem kann sie gut nähen. Ich bin froh, dass sie dabei ist.

Chris und ich stöpseln uns auf die Weise ganz gut durch, wir werden unterstützt von Liang, einer Professorin aus Wuhan (ja – DEM Wuhan). Sie hat bereits im November einen Kurs von Gabi Fischer und mir besucht. Liangs Spezialität ist es, mit Naturmaterialien zu färben. Sie hat ihre eigenen handgefärbten Stoffe dabei – darunter auch einige Eco-prints. Anfangs ist sie etwas verlegen, weil ihre Arbeit so völlig anders aussieht, als die der anderen. Ich finde gerade ihre individuelle Herangehensweise interessant. Nicht nur, dass ihre Farben ungewöhnlich sind, sie geht auch ans Quilten ganz anders heran, als ich das jemals gesehen habe. Ich überlasse ihr die große Bernina Nähmaschine, damit sie sich austoben kann. Nur in einem Abend verwende ich die große Maschine, um ein Stickmuster zu erstellen, das ich in meinem Projekt mit einbinden möchte.

Am vierten Abend geht der gesamte Kurs gemeinsam Essen. Bei diesem Fest wurde ich im Laufe das Abends beim Anstoßen zu drei weiteren Universitäten eingeladen. Mister Yang strahlt über das gesamte Gesicht, er freut sich, dass seine Europäerin so gut ankommt. Mir wird bei dem Gedanken etwas schwummerig, weil ich gar nicht weiß, wie ich diese Termine alle bewältigen soll. Nach der Feier ging für uns zurück ins Klassenzimmer, weil die TeilnehmerInnen unbedingt nachts noch weiter nähen wollten. Ich habe in meinen Kursen zwar den Anspruch, dass ich nicht nur zeige, wie man das Top näht, sondern auch das Quilten und die Fertigstellung des Quilts erkläre. Das bedeutet nicht, dass ich erwarte, dass jeder am Schluss einen Quilt fertiggestellt hat. In China muss man das allerdings noch mal extra betonen, weil allein die Ankündigung, dass wir morgen die Fertigstellung des Quilts besprechen werden, als Aufforderung angesehen wird, dann auch tatsächlich soweit zu sein, dass der Quilt fertiggestellt werden kann. Das erzeugt einen gewissen Druck und führt dazu, dass die Teilnehmer:innen gerne mal Nachtschichten einlegen. Mittlerweile weiß ich das und betone immer wieder, dass es sich am Schluss um eine reine Theorieeinheit handelt. Nützt aber nicht wirklich. Denn das Abschlussfoto droht und da will man sich ja nicht blamieren. In diesem speziellen Kurs waren ungefähr drei TeilnehmerInnen am Ende des 5 Tages tatsächlich so weit , dass sie ihren Quilt komplett fertig hatten, Quilting, Tunnel und Binding inklusive. A bissi spinnen’s sho, de Chinesen.

Am fünften Tag bin ich ehrlich gesagt durch. Ich bin froh, als wir die Abschlussrunde mit Gruppenbild, Händeschütteln und Übergabe der Teilnahmezertifikate hinter uns haben. Um fünf Uhr schleiche ich zum Hotel zurück. Morgen um 9:30 werde ich abgeholt, um nach Xi’an zu fliegen. Und dann machen wir das ganze nochmal.