China

Barbara Lange

24-hour-bug in Shanghai

11.06.2024

Als ich noch in der Grundschule war, meinte eine Lehrerin mal zu mir, es gäbe einfach Tage, an denen das Universum Schluckauf hat und 24 Stunden nichts rund laufen würde. Sie nannte das einen „24-hour-bug“. Das hat mich nachhaltig beeindruckt. Und ich bemerke es immer wieder: Es gibt hin und wieder 24 Stunden, in denen alles scheinbar schief läuft. Unser 24-hour-bug fing um 14 Uhr an, als wir in Shanghai ankamen. Es regnete – was in unserer Planung so überhaupt nicht vorgesehen war – und das Taxi fuhr eine irre Schleife zu unserem Hotel, was die spätere Orientierung nicht unbedingt einfacher gemacht hat. Auf dem Weg vom Hotel wieder zurück zum Bahnhof war ich endgültig verwirrt, was den Weg betrifft. Normalerweise bilde ich mir ein, eine relativ gute Orientierung zu haben. Hier hat sie völlig versagt. Der Bahnhof ist an einen kleinen Inlandsflughaben angeschlossen, ringsherum ist ein Kongresszentrum, dicke Straßen verlaufen größtenteils auf Überführungen und Stelzen und untendrunter sind kleinere Straßen rasterförmig angeordnet. Alles sieht irgendwie gleich aus. 

Als wir in der Innenstadt von Shanghai ankamen, waren wir bereits durchnässt. Es war um 19 Uhr quasi schon dunkel, obwohl die Sonne erst gegen 19:30 untergeht. Wir haben aber gewartet, bis am Bund die Lichter angegangen sind. Der Bund ist eine Häuserzeile mit Gebäuden, die von europäischen Banken, Reedereien und Versicherungen gebaut wurden, die in Schanghai Handel getrieben haben. Alle Häuser ziehen sich am Huanpu River entlang, sind ca. 150 Jahre alt und sehr gediegen. Auf der gegenüberliegenden Seite liegt das moderne Finanzzentrum mit den bekannten Hochhäusern, wie dem Pearl Tower, dem Shanghai Tower (dem zweithöchsten Gebäude der Welt) und dem Shanghai World Financial Tower, der an einen Flaschenöffner erinnert. Immer wieder verschwanden die Spitzen der Hochhäuser in den Wolken. Wir haben uns auf einer Bank zusammengehkauert, hatten die Jacke meiner Tochter unter uns ausgelegt, um darauf zu sitzen, über uns meine Jacke gespannt und dazu einen Schirm. Und trotzdem waren wir total durchnässt. Wir haben gewartet, bis die Lichter angegangen sind und sind dann in die Fußgängerzone gegangen, um ein trockenes T-shirt für Maxine zu kaufen und sind dann zurück zum Hotel. Und wieder haben wir den Weg nur schwer gefunden. Mein chinesisches Handy hat zwar Internet, aber nur Baidu Maps. Dieses Pendant zu Google Maps hat leider nur eine chinesische Version. Mein deutsches Handy hat zwar Amap und google Maps, aber in China funktionieren die Offline-Karten nicht wirklich. Mit einem Hotspot kann ich mein deutsches Handy mit Internet über das chinesische Handy versorgen. Somit kann ich Google Maps verwenden. Trotzdem macht die Orientierung bei Dunkelheit und Regen keinen Spaß, wenn das Display ständig nassgetropft ist. Irgendwann funktionierte auch die Verbindung zwischen den Handys nicht mehr. Aber da hatten wir es dann auch schon fast geschafft.

Zurück im Hotel fiel mir nach einiger Zeit auf, dass das chinesische Handy weg war. Das erklärt, warum die Verbindung zwischen den beiden Handys abgerissen war. So ein Mist. Das brauchen wir dringend, um mit WeChat bezahlen zu können. Also sind wir bei Dunkelheit und Regen wieder losgezogen, um es zu suchen. Und natürlich haben wir den Weg wieder nicht richtig gefunden. Die Orientierung war für uns beide wie verhext. Irgendwann kamen wir an die Stelle, wo ich mich erinnern konnte, dass ich die beiden Handys miteinander gekoppelt hatte. Und wenig weiter lag tatsächlich das chinesische Handy. Mit kaputtem Display. Jemand war drübergefahren. Aber immerhin hatten wir die SIM Karte wieder. Meine Tochter kam auf die Idee, dass mein deutsches Handy mit zwei SIM Karten betrieben werden kann. Also erstmal zurück zum Hotel, zum zweiten Mal alle nassen Klamotten loswerden und ausprobieren. Ja, die zweite SIM Karte funktionierte, das Passwort für WeChat hatten wir nicht, also hieß es, die Nacht abwarten, um mit Sammi und Mr. Yang zu sprechen.

Die wussten das Passwort auch nicht.

Sammi fing an, eine Möglichkeit zu ermitteln, wie sie uns Bargeld zukommen lassen könnte und ich fing an, mich durch WeChat durchzuklicken, um das Passwort wiederherstellen zu können. Was nicht so einfach ist, wenn man schon an den „Ich-bin-kein-Roboter-Tests“ scheitert, weil man die Sicherheits-Fragen nicht entziffern kann, die einen auffordern: „Markieren Sie alle Bilder, auf denen Ampeln zu sehen sind“. Wohlgemerkt, ich kann Ampeln anklicken – wenn ich weiß, dass ich Ampeln anklicken soll. Wenn da nur chinesische Schriftzeichen stehen, weiß ich nicht, was gesucht wird. Mit Übersetzungsprogramm haben wir auch die Hürde genommen. Dann musste das Konto von zwei bisherigen Kontakten bestätigt werden und Hurra! Das Konto wurde entsperrt. Jetzt funktioniert WeChat auf dem deutschen Handy und mein Guthaben ist wieder verfügbar. Und ich habe mobile Daten auf den deutschen Handy, auf dem google Maps läuft! Welch ein Luxus!

Also sind wir wieder in die Stadt gefahren. Maxine mit nassen Schuhen, weil sie über Nacht nicht trocken geworden waren, aber hey! Immerhin hat es nur noch leicht genieselt. Wir hatten für den Nachmittag einen Kalligraphie-Kurs gebucht. Der Kursort lag in der Nähe vom Jing’an Tempel. Obwohl jetzt google Maps lief, war es wieder nicht so einfach, den Ort zu finden. Als ich an einer Straßenecke versuchte, mich zu orientieren und mich dabei umdrehte, bin ich über eine blöde Stelle im Bürgersteig gestolpert und der Länge nach hingeflogen. Im Sturz dachte ich mir nur „Oh nein, nicht das Handy loslassen, nicht dass das auch noch kaputt geht!“ Es blieb heil. Was mein Knie nicht von sich behaupten konnte. Das war total aufgeschlagen. Und damit war es wieder 14 Uhr. Der Spuk war vorbei. Ab jetzt lief die Welt wieder rund. 

Der Kalligraphiekurs war richtig nett. Wir warn zu viert und haben gelernt, wie man die Tinte mit einem Tintenstein aufbereitet, wie man den Pinsel richtig hält und wie die Striche angesetzt werden. Nach ca. zwei Stunden hatte jede einen kleinen Fächer oder eine Schriftrolle beschrieben. Außerdem haben wir einen Tipp bekommen, wo mach gut Farben und Pinsel einkaufen kann (Fuzhou Road, zwischen People’s Square und Bund). Dort sind wir auch relativ bald fündig geworden.

Im Laden gab es eine schöne Auswahl an Pinsel und Chinesischen Tuschefarben. Und eine Deutsche, die meinte, dass die Farben, in die sich meine Tochter schockverliebt hatte, hier genauso viel kosten würden, wie in anderen Läden auch. Ungefähr hundert Meter weiter fanden wir dann den ultimativen Laden. Der hatte ALLES, was man sich zum Malen wünschen kann. Sachen, von denen ich noch nie gehört hatte, meine Tochter aber sehr wohl. Und zu Preisen, von denen wir in Deutschland nur träumen. Und die Tuschefarben waren um die Hälfte billiger. Das hat mir gestunken. Maxine auch, aber sie war im Moment nicht ansprechbar, der zweite Laden hatte sie komplett gefesselt. Es war klar: Das dauert hier länger. Außerdem war ich von meinem Erfolg heute Morgen mit der Wiederherstellung von WeChat innerlich um 10 cm gewachsen. Wenn ich das konnte, konnte ich auch anstatt untätig auf Maxine zu warten, zurückgehen und die teuren Farben zurückbringen. Das habe ich auch gemacht. Hat auch anstandslos geklappt. Das Geld wurde erstattet und in dem zweiten Laden erneut investiert. Mit dieser Shoppingmeile hat Shanghai sich den Titel als „Sehenswerteste Stadt Chinas“ bei meiner Tochter gesichert.

Nach diesem Erfolg sind wir Essen gegangen. Es gab Hot Pot in einem Lokal, das uns schon am Vortag aufgefallen war, weil hier jeder sein eigenes Kochtöpfchen bekommt. Danach wieder zum Bund und die Lichterschau bewundern – dieses mal ohne Regen.  Allerdings waren unsere Klamotten, die wir im Hotel zum Trocknen ausgebreitet hatten, immer noch nicht wieder ganz trocken. Und es roch im Zimmer daher nicht so, wie es riechen soll. Ich habe zwei paar Schuhe dabei – bei dem nassen Paar von gestern hatte ich die Schnürsenkel zusammengebunden und die Schuhe so an den Fenstergriff gehängt, dass die Schuhe außen VOR dem Fenster baumelten. So mieften sie wenigstens nicht im Zimmer und konnten ausdampfen. Aber trocken waren sie trotzdem noch nicht und die Klamotten auch nicht. Also war Wäsche waschen angesagt. Wir wollen schließlich nicht wie zwei Iltisse durch China wandern.

Am dritten Tag in Shanghai hatten wir in der Nähre des Tempels mit dem Jade-Buddah einen Kurs am Nachmittag gebucht. Diesmal ging es um Landschaftsmalerei mit chinesischer Tusche. Den Kurs hatte Chris von Bernina für uns organisiert. Sie war sogar dabei, um für uns zu übersetzten. Was für ein Service! Mein Ergebnis zeige ich lieber nicht – ich kann echt nicht gut zeichnen, aber das meiner Tochter konnte sich sehen lassen.

Nach dem Kurs sind wir wieder zum Bund gefahren, allerdings dieses Mal auf die andere Flussseite, nach Pudong. Dort wollten wir zum Shanghai Tower, der eine Aussichtsplattform im 118. Stockwerk bietet und außerdem den schnellsten Aufzug der Welt hat. Wir waren schwer beeindruckt. In der Zeit, in der man dort noch oben befördert wird, hat man in so manchem herkömmlichen Hotelaufzug noch nicht mal den 5. Stock erreicht. Man spürt zwar etwas Druck auf den Ohren, aber der Magen bekommt keine Schmetterlinge, wie ich es normalerweise bei so einer Beschleunigung erwartet hätte.

Die Sicht oben ist grandios! Man schaut über die ganze Stadt. Und weil wir am Abend dort waren, konnten wir wieder die Hochhausbeleuchtung bewundern. Dieses Mal von oben. Wobei man nur wenig bunte Fassaden sieht, weil der Turm quasi in zweiter Reihe steht und die davor liegenden Hochhäuser nur eine Fassade mit bunten Lichtern beleuchten – und zwar die, die zum Fluss ausgerichtet ist.

 

Wieder unten sind wir daher durch die Hochhausschluchten gewandert, um die Fassaden von der Nähe aus bewundern zu können. Das geht sehr bequem, weil die Stadtarchitekten einen erhöhten Fußweg vorgesehen haben, der an den wichtigsten Hochhäusern entlanggeht und sich oberhalb der Straße befindet. Allerdings haben den auch die Fahrradfahrer entdeckt. Und die fahren hier, wie wenn der Teufel hinter ihnen her wäre. Aber das ist egal. Das Wetter ist herrlich, es regnet nicht mehr, die Temperaturen sind angenehm und die Welt ist wieder in Ordnung.