China

Barbara Lange

Wuzhen

08.04.2024

Sonntagmorgen holt mich Professor Bai mit seinem Auto ab, denn wir wollen zusammen nach Wuzhen fahren. Als Übersetzerinnen sind die Doktorandinnen Uluruu aus der Mongolei und Weiyu mit von der Partie. Weiyu bedeutet so viel wie „leichter Regen“, und das ist auch Programm des heutigen Tages. Den ganzen Tag über nieselt es immer wieder ein bisschen. Da Wuzhen aber eine Wasserstadt ist, die von vielen Kanälen durchzogen wird, stört es nicht weiter. Den ganzen Tag über beschleicht mich immer wieder das Gefühl, dass dieser Ort schönen Sommertagen wahrscheinlich vor lauter Menschenmassen unerträglich ist. Und ein bisschen wundert es, dass heute gar so wenig los ist, denn die letzten drei Tage waren Feiertage. Das Grabfegefest wurde gefeiert. Viele Menschen haben das für Familienbesuche genutzt und so hätte ich erwartet, dass heute, am Sonntag, trotz des Nieselregens mehr los sein würde. Später erfahre ich, dass dieser Sonntag ein Arbeitstag ist. In China müssen Feiertage, die auf einen Wochentag fallen, an dem davor bzw. dem dahinter liegenden Sonntag wieder hereingearbeitet werden. Ich bin fassungslos. Das erklärt einiges. Deshalb also kann man es heute hier so gut aushalten.

Das 1300 Jahre alte Dorf wurde immer wieder renoviert und gilt als eine der größten Touristenattraktionen der Region. Ein bisschen mutet es an wie Disneyland auf Chinesisch. Wobei es sehr geschmackvoll gehalten ist. Aber eins ist klar: so ein romantisches Ensemble erhält sich nicht von alleine. Das ist kein authentisches Dorf, sondern eine Freizeitanlage.

Direkt hinter dem riesige Eingangsportal kann man noch rechter Hand das super moderne Opernhaus von Wuzhen liegen sehen, kurz dahinter findet man ein noch moderneres Museum, in dem eine Ausstellung von Mu Xin gezeigt wird. Mu Xin stammt aus Wuzhen, ist einer der ersten chinesischen Maler, der chinesische und westliche Malstile kombiniert hat und ebenfalls einer der ersten, der Aktzeichnungen angefertigt hat. Grund genug, ihn während der Kulturrevolution 18 Monate lang zu inhaftierten. Von seinen 600 Arbeiten wurden 500 zerstört. Daneben war er dichter und so besteht die Ausstellung zum großen Teil aus Notizzetteln, die winzig klein mit chinesischer Schrift vollgeschrieben wurden. Ohne jegliche Erklärung auf Englisch ist das ganze etwas mühsam. Wir gehen relativ bald weiter. 

Aber jetzt geht es wirklich los:  Über schmale Wege und einer unüberschaubaren Anzahl von Brücken erkunden wir das Venedig des Ostens. Die erste Attraktion ist eine Anlage von hölzernen Gestellen, auf denen früher Stoffe getrocknet wurden,  die man mit Indigo gefärbt hat. Ähnlich wie bei unserem Blaudruck, wurden auch hier vor dem Färben Muster auf den weißen Stoff aufgetragen. Für diese Reservetechnik benutzte man in China allerdings Sojamilch. Dort, wo die Milch aufgetragen wurde, konnte das Indigo nicht in den Stoff eindringen und so blieb die jeweilige Stelle weiß.

 

Das Dorf wurde im Prinzip auf zwölf kleinen Inseln erbaut. Auf den vielen Plätzen und speziell bei den runden Brücken trifft man immer wieder auf junge Frauen, die sich traditionell gekleidet haben und offensichtlich Bilder für die chinesischen Versionen von Tiktok und Instagram machen. Einerseits verstärkt dies den romantischen Eindruck, andererseits finde ich diese chinesische Variante von Influencern genauso befremdlich, wie ihre westlichen Kolleg:innen.

Unverhofft stoßen wir auf eine Stelle, wo die Kanäle etwas breiter werden, und wo man einen Teil abgetrennt hat, um ein Teich für riesige Koi Fische anzulegen. Die Kois sind schätzungsweise jeweils einen Meter lang. Echte Brummer. Apropos Koi: Zum Mittagessen gibt es Fisch. Und Reis mit Erdnüssen. Mittlerweile fällt mir schon gar nicht mehr auf, dass ich nur noch mit Stäbchen esse. Es ist ganz natürlich geworden.

Beim Mittagessen am Kanal fahren plötzlich zwei Boote an uns vorbei, auf enen jeweils ein Trommler steht und martialisch den Takt angibt, während 10 andere rudern. In ienem Boot sind alle gelb gekleidet, in dem andern alle blau.

Beim Essen zeigt mir Professor bei Fotos von seinen Aquarellen. Die Bilder lässt er auf Stoff drucken und gestaltet damit Textilien, die er in seinem Unterricht im College einsetzt. Ich bin schwer beeindruckt. Als ich das zum Ausdruck bringe, kichert der Professor hinter vorgehaltenen Händen. Er ist einerseits stolz, andererseits aber auch sichtlich peinlich berührt.

Weiter geht es mit einer Unmenge an Fotostopps weiter, Richtung Pagode. Es ist offensichtlich, dass Professor Bai genauso gerne fotografiert wie ich… Auf den Kanälen zieht sich eine lange Perlenkette von hölzernen Booten dahin, die müde Touristen weiterbefördern. Auch wir steigen irgendwann ein Boot ein und lassen uns wieder zum Eingang fahren.

Er fährt mich im Auto zu dem 160 Kilometer entfernten Shaoxing.  Wir versprechen, den Kontakt weiterzupflegen. Das würde mich wirklich freuen