China

Barbara Lange

Mit Asterix und Obelix auf der Lernkurve unterwegs

15.05.2024

Wir sind an der Peihua-Universität in Xi’an, die Studenten, die ich unterrichte, sind im zweiten Semester ihres Studiums als Modedesigner. Der Kurs besteht aus dreieinhalb Tagen, an denen wir nähen, einem Tag, an dem gequiltet wird, und einem halben Tag, an dem ich die Fertigstellung wie Binding und Tunnel bespreche. Mit dabei ist Chris von Bernina in Shanghai, sie hat den Kurs in Shaoxing besucht und unterstützt dieses Mal mit den Maschinen. Neben zwölf einfachen Maschinen stehen den Schülern eine 790er und die 770 von Bernina und eine 79 und eine 77 von Bernette zur Verfügung. Wir haben 29 Schüler:innen. Also müssen sie sich abwechseln.

Ansonsten ist die Ausstattung eher dürftig. Ich dachte, ich hätte mittlerweile alles erlebt, aber Teilnehmer, die Packungen mit farbigen Filzplatten statt Stoff in den Unterricht bringen, sind neu. Für die gesamte Klasse steht ein einziges Bügeleisen zur Verfügung. Lehrer Han, dessen Klasse ich quasi „übernommen“ habe, gibt sich alle Mühe, ein zweites in Betreib zu nehmen. Das schlägt aber gleich bei der Inbetriebnahme einen riesen Funken. Also lassen wir das mal lieber. Die Schüler:innen haben alle flexible Schneiderlineale – keine Lineale für Rollschneider. Da ich mit dem Flugzeug angereist bin und nur Handgepäck dabei habe, hatte Sammi in Shaoxing ein Päckchen für mich gepackt und die Nähnadeln von Schmetz und die Rollschneider von Clover vorausgeschickt. Ich bin heilfroh, dass das Päckchen da ist. Und nicht nur ich. Jetzt packt Sammi ein zweites Päckchen und schickt mir Lineale hinterher. Bernina in Shanghai schickt ebenfalls Lineale. Das ist auch gut so, denn gleich am ersten Tag ist ein Mädchen trotz intensivster Warnungen mit dem Rollschneider an ihrem Schneiderlineal abgerutscht. Das konnte die Fingerkuppe nicht gut haben. Drei Stiche beim Chirurgen. Ein Klassenkamerad putzt das Blut am Boden weg, zwei Stunden später ist das Mädel wieder da und näht unbeirrt mit Verband weiter. Das ist mir noch nie in einem Kurs passiert.

Am Ende des ersten Tages bin ich dementsprechend niedergeschlagen. Meine Schwester bringt mich auf den Boden zurück: „Immerhin ist Werkzeug da. Seh es positiv!“ Also versuche ich mich auf das zu konzentrieren, was da ist und nicht auf das, was fehlt. Aufstehen, lächeln, Krönchen richten und weitermachen. 

Vereinbart war, dass ich vier Stunden pro Tag unterrichte. Am zweiten Tag kommt heraus, dass das Lehrer Han eigentlich nicht so passt. In Ningbo habe ich zwar auch nur vier Stunden täglich unterrichtet, aber da hatten die Studenten nachmittags Vorlesungen. Hier handelt es sich offensichtlich um eine Projektwoche. Wenn ich nicht da bin, wäre Han mit den Schüller:innen alleine. Er ist von Beruf Modedesigner, Patchwork ist auch für ihn Neuland. An seiner Stelle wäre ich auch nicht begeistert. Also unterrichte ich 8 Stunden pro Tag. 

Einer der Schüler erinnert mich an Asterix. Er ist relativ klein und zierlich und unheimlich pfiffig. Sein Nähergebnis bei FPP lässt zwar schwer zu wünschen übrig – ordentlich ist anders  –  aber man erkennt sofort, dass er das Prinzip von FPP auf Anhieb verstanden hat. Er ist einer der Kandidaten, die mit Filzplatten nähen. Ich erkläre ihm, dass er ein intelligenter Schlamper ist und lasse ihn drei Mal auftrennen. Er nimmt es mir nicht übel – seine alternativen Nähkünste entwickeln sich im Kurs zum running Gag.

Donnerstag fangen wir an zu quilten. Weil ich weiß, dass das mit dem freien Quilten oft ein Problem ist, habe ich das in China bisher noch nicht angeboten, in den bisherigen Kursen haben wir ausschließlich mit dem Obertransportfuß gequiltet. In den ersten zwei Tagen hat Chris fleißig den Lehrern und vorbeikommenden Besuchern die großen Nähmaschinen vorgeführt. Donnerstag ist Chris allerdings nicht mehr da, sie hat einen Trauerfall in der Familie. Am Vormittag kommt eine weitere Schulklasse in den Raum und will sich die Maschine anschauen. Daraufhin führe ich selbst vor, unter anderem, wie man mit dem BSR Fuß frei quilten kann.

Natürlich muss ich es meinem eigenen Kurs daraufhin auch zeigen. Darauf wollen alle nur noch Free-Motionquilting machen. Ich habe etwas Bedenken, weil nur die großen Maschinen dafür geeignet sind. Ich lasse sie aber gewähren, weil ich denke, dass sich das Thema von alleine erledigt, wenn sie merken, wie schwierig es ist. Tut es nicht. Die Schüler:innen sind wahnsinnig begabt. Und hartnäckig. Diejenigen, die nicht das Glück haben, an einer der großen Nähmaschinen arbeiten zu können, quilten an kleinen Nähmaschinen komplett ohne Füßchen, nur mit heruntergelassener Nadelstange. Und wie sie quilten. Sie setzen sich hin und zeichnen auf ihrem Top drauflos, so ganz anders, als ich das machen würde. Das mit ein Grund, warum ich dem Treiben kein Ende setze: Ich bin fasziniert von der unbekümmerten, frischen Herangehensweise und will niemandem meinen Stil aufdrängen. Sie haben gesehen, wie Quiltmuster normalerweise aussehen. Sie machen es anders. Und gar nicht mal schlecht.

Neben Asterix habe ich auch Obelix in meinem Kurs. Obelix quiltet, dass einem die Augen ausfallen. Er hängt freiwillig den Samstag dran, um weiterzuarbeiten und auszunutzen, dass die großen Maschinen noch in der Schule stehen. Freilich sehen die großen Maschinen neben ihm gar nicht mehr so groß aus 😉

Die Stundent:innen ackern wie blöde. Anders kann man es nicht mehr sagen. Ich habe relativ viel Leerlauf, weil sie so in der Arbeit versunken sind. Ich verteile Gummibärchen und hin und wieder einen Rat, ansonsten ist auch mal Zeit, dass ich mit Han fachsimple und wir Tipps und Tricks austauschen.

Freitag Nachmittag findet kein Unterricht statt – die Schüler:innen haben da eine andere Pflichtveranstaltung. Dafür werden sie am Sonntagnachmittag nach meinem Vortrag nochmal hereinbeordert. Kein Problem. Kann man mal machen. Auch hier werden sie nicht komplett fertig, also vereinbaren wir, dass ich Dienstag vor dem Abflug nochmal kurz in den Kursraum komme, damit wir uns verabschieden können. So holperig unser Start auch war, so nett ist es jetzt. Lehrer Han schenk mir ein Kleid, dass er im chinesischen Stil mit schräg verlaufender Knopfleiste am Hals selbst genäht hat. Auch das ist mich noch nie passiert. Ich poste hier kein Bild – ich komme zwar in das Kleid rein, aber vermutlich ohne Hilfe nicht mehr raus. Das will auch keiner sehen…

Dienstag fällt der Fototermin relativ kurz aus. Ich bin ehrlich beeindruckt, was die jungen Leuten aus den Möglichkeiten gemacht haben, die ihnen diese Woche geboten wurden.