China

Barbara Lange

Kulturschock in Ningbo

11.06.2024

Ningbo steht bei herkömmlichen China Rundreisen nicht unbedingt auf dem Programm, aber ich habe dort insgesamt vier Wochen verbracht und wollte nochmal für einen Tag zurückkommen, um meiner Tochter diese tolle Stadt zu zeigen und mich gleichzeitig von Pang zu verbschieden. Pang hatte zwischenzeitlich einen Quilt genäht, den sie wie einem Wettbewerb in Europa eingereicht hat, und den ich mit nach Deutschland nehmen werde, um ihn von dort aus zu verschicken, wenn er angenommen werden sollte.  

Pang hatte auch angekündigt, dass sie unser Hotel reservieren würde. Dass sie uns im Shangri-La direkt am Bund unterbringt, haben wir nicht geahnt. Die Aussicht ist irre. Die Zimmer so edel, dass man sie gar nicht verlassen möchte. Zumal es draußen geregnet hat. Wir sind mittags angekommen und haben uns erstmal zu einem Nickerchen hingelegt. Keine drei Stunden später waren wir dann auch schon fit genug, um wieder an Sightseeing denken zu können. Es hat immer noch geregnet, also haben wir uns für einen kurzen Besuch beim City God Tempel entschieden. Von dem habe ich hier schonmal erzählt, als ich beim Moon Lake war. Die Menagerie an Göttern, Dämonen und Horoskop-Figuren ist einzigartig. Kaum waren wir aus dem Tempel draußen, meldete sich Pang, dass sie uns demnächst beim Hotel abholen würde. Sie hätte einen Tisch in einem Lokal für Meerestiere gebucht.

Das war nicht irgendein Restaurant. Diese Küche war selbst für Chinesen etwas ganz Besonderes. Wie üblich in Fisch-Lokalen, stehen im Eingangsbereich Salz-Wasser-Aquarien mit Fischen, Muscheln, und Hummern. Hier kamen noch Seegurken, Seeigel, Riesenkrabben und Conche-Schnecken dazu. Dass die zum Teil lebend aufgespießt am Tisch serviert wurden war für uns sehr befremdlich. Das hat meine Tochter gegenüber unseren Gastgeberinnen auch deutlich gemacht. Wenn wir mit einer Gruppe Europäern unterwegs gewesen wären, wären wir wieder gegangen. Die haben allerdings den Widerwillen meiner Tochter so interpretiert, dass es ihr vor den Beinen der Garnelen graut, so wie sich viele vor den Beinen von Insekten grausen. Ihre Lösung war, die Garnelen uns zu liebe möglichst schnell ins kochende Wasser zu geben, damit das Gezappel ein Ende hat. Aber eigentlich war ihnen das nicht so recht. Für Chinesen ist sehr wichtig, dass ihr essen möglichst frisch ist, dafür nimmt auch in Kauf, dass die Tiere noch mehr leiden müssen, damit sie erst unmittelbar vor dem Verzehr getötet werden können. Dass die Tiere getötet werden ist uns ja auch klar, aber stellenweise hätten wir uns gewünscht, dass es für die Tiere schneller und vor allem weniger schmerzvoll vonstattengegangen wäre. Dass die Tiere leiden kommt den meisten Chinesen gar nicht in den Sinn. Das ist für sie ein völlig fremder Gedankengang. Dieser Restaurantbesuch war für uns ein echter Kulturschock.

Passend zu diesem Erlebnis hat es an diesem gesamten Abend auch noch gegossen. Ich hatte mich darauf gefreut, meiner Tochter zu zeigen, wie schön der Bund in Ningbo ist. An diesem Abend war zwar die Beleuchtung an, aber das Programm lief auf Sparflamme. Ein paar bunte Lichter-Enten dümpelten auf einem See dahin, der über die gesamte Hochhaus-Fronten projiziert wurde. Der Bund von Ningbo kann eindeutig mehr als er an diesem Abend gezeigt hat.