China

Barbara Lange

Hangzhou E-Fashion Town

17.04.2024

Der letzte Tag in Hangzhou bricht an. Mir war ein Ausflug in ein Künstlerdorf angekündigt worden. Das Künstlerdorf entpuppt sich als ein staatliches Prestigeobjekt, mit dem China eine Plattform für Begegnungen zwischen allen Beteiligten in der Textilindustrie schaffen möchte. Die Anlage wurde 2015 begonnen und ist noch nicht komplett fertiggestellt. Das wundert auch niemanden wirklich, weil die Anlage so groß ist wie eine mitteldeutsche Kleinstadt.

Hier findet man mehr dazu.

Das Herzstück ist ein Operngebäude mit einer Bühne für Open Air Konzerte. Drumherum gruppieren sich einerseits Businesszentralen und andererseits Einkaufsmeilen mit Flaggschiff-Geschäften von hauptsächlich chinesischen Marken. Hier tummeln sich nicht nur die ganz großen, es wird aber auch kleinen Firmen die Möglichkeit geschaffen, mietfrei eine Präsenz aufzubauen und sich den Kaufinteressenten zu zeigen. Daneben gibt es ganze Stadtteile, wo es nur um Produktionsanlagen geht, andere, wo das Modedesign groß geschrieben wird und noch wieder andere, wo die Kulturgeschichte von Kleidung hoch gehalten wird. Was ich mir im Einzelnen darunter vorstellen soll ist mir nicht so richtig klar. Klar ist, wie immens groß die Anlage ist. Dies spiegelt die Bedeutung von der Textilindustrie einerseits und die Begeisterung für Mode bei den Chinesen andererseits wieder. Eine Milliarde Menschen müssen schließlich auch eingekleidet werden. Auch wenn wir chinesische Marken vielleicht nicht unmittelbar auf den Schirm haben sollten, allein der die Inlandsnachfrage ist ja schon enorm.

Als erstes soll ich einen Betrieb kennenlernen, der dem Präsidenten der Mode- und Textilhochschule der Technischen Universität, Mr Lee gehört. Er wurde vor einiger Zeit als eine der 10.000 wichtigsten Chinesen ausgezeichnet. Seine Leistung besteht darin, eine neue Technik des Brokatwebens entdeckt zu haben. Mit nur fünf Farben, schwarz, weiß, rot, gelb blau, gelingt es ihm, anhand einer 3D-Webetechnik fast stufenlose Farbübergänge zu erzeugen. Die Bilder in seinen Schauräumen halte ich anfänglich für Gemälde. Dabei sind dies gewebte Reproduktionen von Gemälden. Die Firma gilt als Nationalschatz und wird immer wieder damit beauftragt, Gastgeschenke für ausländische Staatspräsidenten zu erstellen. Unter anderem hat Angela Merkel ein Brokat-Gewebe von diesem Betrieb erhalten. Darauf ist ihr Konterfei zu sehen. Die Schule hat mir ebenfalls eins dieser edlen Stücke geschenkt. Ohne Konterfei. Das ist vielleicht auch besser so.

Die nächste Station ist das reine Kontrastprogramm. Es geht zu dem Hersteller von Street Fashion: INXX . Das Konzept ist es, die Bilder von jungen, gerne surrealistischen Malern der Neuzeit in Mode zu integrieren. Die Modelle sind praktisch ausschließlich unisex. Zu dem Konzept der Kette gehört ist, eine Kunstausstellung im Laden mit zu integrieren. Erst denke ich, dass diese Art von Mode so für mich überhaupt nichts ist, aber dann kaufe ich mir doch eine Jacke. So kalt, wie es hier ständig ist, kann ich die mit Sicherheit gut gebrauchen.

Als nächstes besuchen wir eine chinesische Marke für Damenbekleidung. Hier soll die gehobene Käuferschicht angesprochen werden. Allerdings, was sie unter bürotauglicher Kleidung verstehen, deckt sich nicht so ganz mit meiner Vorstellung von alltagsfähiger Kleidung. Das Konzept wiederum finde ich richtig pfiffig: die Kleidung wird als Einzelstücke angefertigt, bei allen sind die Hosenbeine für die chinesische Kundschaft eindeutig zu lang wenn man das Modell kaufen möchte, wird die Länge individuell angepasst. Ich schlüpfe in eine Hose und stelle fest, für meine Länge passt sie genau. Außerdem finde ich sie ziemlich schick. Also kaufe ich heute gleich ein zweites Teil. Die Länge hat zwar gepasst, ich habe die Hose auch zu bekommen, aber dann sah ich um die Teile ja aus wie eine abgebundene Wurst. Die Hose wird jetzt noch mal auf meine Maße genäht und wird mir dann anschließend zugeschickt.

Nach diesem Shoppingerfolgen steigen wir in ein Art Golfkart ein und werden durch die Gegend gefahren.  In erster Linie geht es darum, das Opernhaus und den darum liegenden See anschauen zu können. Auch bei diesem Ausflug werde ich nicht nur von einer Dozentin und einer Dolmetscherin begleitet, wir haben auch wieder fünf oder sechs andere Studenten im Schlepptau. Wieso ausgerechnet diese Studenten dabei sind, finde ich trotz meiner Nachfrage nie heraus. Es ist letzten Endes auch egal. Ist nicht nur für mich, sondern auch für die Studenten ein ganz besonderes Erlebnis. Nach dem Mittagessen fahren wir zu der letzten Station des Tages: ein Forschungsinstitut für alle Belange der Mode. Wenn wir bisher noch nicht ein Auge rausgefallen ist, dann jetzt aber jetzt. In einem Gebäude, das ungefähr so groß ist wie ein Fußballfeld, finden sich lauter Stationen, die die neuesten Entwicklungen im Textilbereich visualisieren. So kann man an einer Station ein Gerät ausprobieren, dass ein Foto von dem Kunden macht und ist dann auf einem großen Bildschirm wiedergibt. Je nach Wunsch kann man diese virtuelle Figur verändern und ihrunterschiedliche Kleidung und Frisuren anprobieren.  Bei der nächsten Station gibt es Kleidung, die eine integrierte Beleuchtung haben. Auf Knopfdruck leuchtet also z.B eine Jacke. An der nächsten Station gibt es Geräte, die man auf eine beliebige Farbe halten kann, und die einem dann die exakte Farbnummer dieser Probe anzeigt. 3D Drucker, die Schuhe drucken, eine riesige Datenbank, die einem in Echtzeit Auskunft darüber gibt, welche Suchanfragen von den Internetnutzern gerade am meisten gestellt werden und welche Modelle am häufigsten verkauft werden. Am Ende der Halle findet man Maschinen, die das automatische Nähen in Fabrikanlagen ermöglichen und als Krönung geht es am Ende der Halle tatsächlich in eine Modell-Fabrik hinein.

Hier arbeiten ca. 20 Leute an Fließbändern in einer hochmodernen Näherei. Es ist auffallend leise im Vergleich zu herkömmlichen Fabriken. Hier wird eine ganze Kollektion von unterschiedlichen Trikots produziert. Für mich stellt es sich so dar, als ob konkret die Ware hergestellt wird, die von einem einzigen Laden bestellt wurde. Es wird in Kleinstmengen produziert und gleichzeitig alle Modelle auf einmal. Am Ende das Fließbands wird ein Kleiderständer mit zig verschiedenen Modellen bestückt, der so in den LKW geschoben wird, um ins Geschäft gefahren zu werden. Auch dieses Institut wurde vom chinesischen Staat gebaut als Anlaufstelle für Textilproduzenten, die ihre Fabrikanlagen ausbauen und erneuern. Hier bekommen Sie alle Informationen, die sie brauchen, um ihre Investitionsplanungen tätigen zu können.

Um ehrlich zu sein bin ich jetzt an einem Punkt, wo ich völlig überfüttert bin. Die Eindrücke der letzten Tage muss ich erstmal verdauen. Ich bin froh, als mein Taxi kommt, dass mich nach Shaoxing zurückfährt. Ich bin müde, eine Erkältung bahnt sich an und ich muss die Eindrücke erstmal verdauen.