China

Barbara Lange

Die Stadtmauer von Xi’an

12.05.2024

Mache Sachen hier sind mir einfach fremd. Zum Beispiel die Ankündigung, dass am kommenden Nachmittag mein Unterricht ausfallen würde, weil die Studenten eine Pflichtveranstaltung haben. Eine Vorlesung zum Marxistischen Kollektivgedanken. Die würde mich ja glatt interessieren. Andererseits habe ich keinen Übersetzer und ich werde auch nicht gefragt, ob ich teilnehmen möchte. Außerdem ist das Wetter bombastisch. Ich entscheide mich gegen Marx und für einen Ausflug in die Innenstadt von Xi’an.

Dieses Mal geht es auf die alte Stadtmauer. Sie ist eine der größten und am besten erhaltene Stadtmauer Chinas. Ihr Umfang beläuft sich auf knapp 14 km. Der Aufbau ist ein großes Rechteck, dass die Altstadt umfasst. Jeweils in der Mitte der vier Seiten befinden sich große Aufgänge mit mehreren länglichen Wachhäusern, in denen sich teilweise Museen oder Läden befinden.  An drei der vier Ecken sind kleinere Wachtürme, an der vierten ist nur ein runder Platz.

Was eine ordentliche Stadtmauer ist und auf sich was hält, hat auch einen Wassergraben und eine Zugbrücke. Hinter der Zugbrücke befindet sich der südliche Eingang. Die U-Bahn bringt einen bequem zum Vorplatz. Das Eintritts-Ticket zu kaufen ist schon erheblich schwieriger. Ich schaffe das nicht alleine. Die freundliche Dame am Schalter tippt fleißig auf meinem chinesischen Handy, das ganze Procedere geht über mehrere Seiten und verlangt unter anderem, dass ich meine Passnummer eingebe. Der Eintritt kostet 6 €. Das ist für hiesige Verhältnisse viel. Die meisten Museen und Sehenswürdigkeiten sind kostenlos. Immerhin habe ich keine Wartezeit, die App erlaubt, dass ich sofort reingehen darf. Das ist gut. Es hat 30 Grad im Schatten. Nur, dass es auf der Mauer keinen Schatten gibt.

Da man das Rad an mehreren Stationen rund um die Mauer zurückgeben kann, beschließe ich, es zu probieren. Einmal rundherum. Der Weg ist etwas holperig. Das sei der Anlage zugestanden. Die Stadtmauer wurde im 14ten Jahrhundert erbaut. Am Ende der siebziger Jahre war sie in einem erbärmlichen Zustand. 1983 wurde sie frisch renoviert und wieder zugänglich gemacht. Auf meiner Tour, die ich gegen den Uhrzeigersinn unternehme, habe ich auf allen vier Seiten über weite Strecken hinweg das Gefühl, dass der Weg leicht abschüssig ist. Das kann ja eigentlich nicht sein. Das wäre ja wie die Treppe von Escher. Aber genau dieses Gefühl stellt sich ein. Zwischendrin führt der Weg immer mal wieder über Rampen mit ca. 2 Meter Höhendifferenz. Das macht es etwas schwieriger, einzuschätzen, wie der Weg tatsächlich verläuft. Auf jeden Fall fährt es sich angenehm. Bis auf den Sattel. Der drückt langsam.

Ich habe mir einen Sonnenhut gekauft, aber der hilft nur bedingt – und so meldet sich mein Kreislauf mehrere Male. Die Abgabestationen liegen weit auseinander, was ja logisch ist, weil sechs Stationen auf 14 km bedeutet, dass nur alle 2,3 km eine Abgabestelle zu finden ist. Der Sattel nervt. Im nördlichen Teil der Anlage ist wenig zu sehen. Es sind hier auch kaum Leute unterwegs. Teilweise habe ich das Gefühl, ganz alleine zu sein. Eigentlich würde es mir an dieser Stelle reichen, aber ich befürchte, dass die Innenstadt an dieser Stelle auch wenig hergibt, wenn ich hier jetzt von der Mauer runter gehe.  Hier würde ich nämlich beim Bahnhof landen und den finde ich auch nicht so sonderlich spannend. Habe ich schon erwähnt, dass der Sattel wehtut? Trotzdem fahre ich eisern auf meiner keinen Gurke weiter. Der Blick links und rechts von der Mauer herunter lohnt sich allemal. Man sieht ein Meer aus geschwungenen Dächern, Tempel, einen Lagerplatz für übergroße Laternen, drei große Glocken und die unvermeidlichen Internet Schönheiten.

Nach ca. 3 Stunden komme ich wieder am Südeingang an, gebe mein Rad ab. Wer auch immer diesen Sattel entwickelt hat, soll in der Hölle die Ewigkeit damit verbringen, auf dem Ding zu sitzen. In ienr halen Stunde wird die sonne untergehen. Solange will ich warten, weil ich die Abendstimmung und die Beleuchtung auf der Mauer fotografieren will. Innerhalb von Minuten kommt heftiger Wind auf und dann bricht ein Gewitter los. Ich Schlaubi-Schlumpf habe meinen Regenschirm auf dem Zimmer liegen lassen. Außerdem habe ich wohl auf der Stadtmauer die Schlüsselkarte für genau dieses Zimmer verloren. Läuft bei mir. Rückwärts und bergauf, aber läuft.

Der Wächter am Haupttor der Universität schaut mir interessiert zu, wie ich erst meine Handtasche und dann mein Portemonnaie filze.  Aber irgendwann schient ihm doch zu dämmern, dass die Wahrscheinlichkeit verschwindend gering ist, dass eine klatschnasse Europäerin hier vor ihm ihre Handtasche zerlegt, wenn sie hier nicht hingehört,.  Ich darf rein. Erste Hürde geschafft. Jetzt den Pförtner vom Hotel überzeugen. Ihm halte ich mein Handy mit dem Übersetzungsprogramm vor die Nase. In der Lobby habe ich ja Internet, da geht das. Eigentlich hatte ich erwartet, dass er mit mir in den 15. Stock fahren würde. Tut er nicht. Ich soll einfach losgehen. Ok, denke ich mir, wird dann schon jemand mit einem Schlüssel kommen. Als ich vor der Zimmertür ankomme, summt der Türöffner und ich kann rein. Was geht denn hier ab? Ganz einfach: Es sind in jedem Flur Kameras angebracht. Sobald der Pförtner mich vor der Tür stehen sieht, drückt er unten in seinem Pförtnerhäuschen auf den Knopf und schon geht meine Tür auf. Eigentlich sehr praktisch. Bei genauerer Betrachtung vielleicht auch etwas gruselig. Aber darüber will ich mir heute keinen Kopf mehr machen.